
Dies ist ein Gastbeitrag von Paul-Jasper Dittrich, Research Fellow im Bereich Digitales Europa beim Jacques-Delors-Institut Berlin. Der Blogpost basiert auf einer längeren Studie zu europäischem Populismus und sozialen Netzwerken.
Donald Trump’s Twitter-Account ist so legendär wie berüchtigt – und darüber hinaus reichweitenstark: mit seinen Ausfällen und Wuttiraden erreicht der amerikanische Präsident über 35 Millionen Follower weltweit. Indem er am frühen Morgen 140 Zeichen absetzt, bestimmt er die tagespolitische Agenda oft im Alleingang.
Doch Trump ist kein Einzelfall. In den letzten Jahren ist es populistischen Parteien und Bewegungen auch in Europa zunehmend gelungen, soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter gezielt zur Mobilisierung ihrer Anhänger und Verbreitung ihrer Botschaften zu nutzen.
Die steigende Vernetzung hat ihnen Öffentlichkeit und Kommunikationsräume eröffnet, die es so bis vor kurzem nicht gab. Dazu kommen die vielen Möglichkeiten zur Manipulation und Desinformation, die soziale Netzwerke nicht nur Populisten eröffnen.
Doch auch jenseits der öffentlich viel debattierten Phänomene um Fake News, Social Bots und co. ist es Populisten und Protestbewegungen in den letzten Jahren gelungen, erhebliche Aufmerksamkeit zu generieren.
Warum ist das so? Drei Gründe scheinen besonders hervorzustechen:
1. Der Wandel der Medienlandschaft und Politik durch „Neue Medien“,
2. Die Kommunikationsstrategie der Populisten selber und
3. Die Fähigkeit, auf sozialen Netzwerken Anhänger zu mobilisieren.
1. Eine neue Öffentlichkeit
In den letzten Monaten wurde viel über eine neue, stärker gespaltene Öffentlichkeit gesprochen, die durch den digitalen Wandel hervorgerufen wurde. Welche strukturellen Veränderungen in der Medienlandschaft haben diesen Wandel herbeigeführt?
Grob gesprochen könnte man es so beschreiben: Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts war die Verbreitung von Nachrichten, Einschätzungen und Meinungen und damit auch die Vermittlung von Politik vor allem den Massenmedien, also Zeitung, Radio und Fernsehen, vorbehalten. Die Produktion und insbesondere die Verbreitung von Information (Nachrichten, Einordnung, Kommentar, Reportage etc…) war mit vergleichsweise hohen Kosten für Recherche, Druck oder Ausstrahlung (in Radio und Fernsehen) verbunden. Dadurch hatten große und vor allem professionelle Medien lange Zeit ein Quasi-Monopol auf die Verbreitung von Nachrichten und damit auch eine entscheidende Rolle bei der Vermittlung und Einschätzung von politischen Ereignissen.
Die fortschreitende Digitalisierung hat dieses Monopol zu Fall gebracht. Dank der Fortschritte in der Informationstechnologie und vor allem mit dem Siegeszug der sozialen Netzwerke und Smartphones, lassen sich Meldungen, Nachrichten, Meinungen und Gerüchte rasend schnell überall hin verbreiten, und das von jedem. Der Markt für Informationen wurde sozusagen vollständig geöffnet und dereguliert. Es gibt nun kaum noch Eintrittsbarrieren mehr auf den Markt der Informationsweitergabe und die Kosten zur Verbreitung liegen praktisch bei null. Ein Facebook-Post kann zehn- oder zehntausendmal geteilt werden, es entstehen für Produzenten, Verbreiter und Konsumenten jedes Mal genau gleich viele Kosten, nämlich (fast) gar keine. Ähnliches gilt dabei auch für YouTube und alle anderen Internetplattformen.
Prinzipiell ist das keine schlechte Entwicklung: Der Wandel der Öffentlichkeit durch die kommunikativen Kanäle der sozialen Netzwerke ermöglichen es auch Menschen oder Gruppen, sich Gehör zu verschaffen, die nur über wenig klassischen Einfluss verfügen. Über soziale Netzwerke entstehen neue Protestbewegungen. Zivilgesellschaftliche Akteure wie NGOs können über gut gemachte virale Kampagnen Druck auf Entscheidungsträger ausüben – all das war vor der massenhaften Verbreitung von Facebook, Twitter oder YouTube unmöglich.
Nichtsdestotrotz hat dieser Wandel der Öffentlichkeit auch unübersehbare Schattenseiten, die im politischen und gesellschaftlichen Bereich zuletzt immer deutlicher sichtbar geworden sind. Denn die direkte Kommunikation mit einer beständig wachsenden Anzahl an Followern und Anhängern sowie die Möglichkeit zur ungefilterten Verbreitung der eigenen politischen Botschaften, hilft auch jenen Akteuren, die früher von den „Diskurswächtern“, also beispielsweise Autoren von Leitartikeln, professionellen Kommentatoren und Chefredakteuren aus nachvollziehbaren Gründen ausgeschlossen waren. Die neu gewonnenen Möglichkeiten der Informationsweitergabe nutzen nämlich besonders Populisten sehr erfolgreich zur Mobilisierung ihrer eigenen Anhänger. Dies zeigt auch der nächste Abschnitt.
2. Der Mobilisierungseffekt für die eigenen Anhänger ist stark
Über soziale Netzwerke können sehr schnell sehr viele Menschen erreicht werden – und das unter Umgehung traditioneller Medienkanäle. Das machen sich Populisten vor allem für die Mobilisierung der eigenen Kern-Anhänger zu nutzen. Mithilfe von quintly hat das Jacques Delors Institut – Berlin die Facebook-Daten von Parteien und Bewegungen in vier europäischen Ländern ausgewertet. Dabei wurden vor allem Fan-Wachstum und Interaktionsraten von populistischen und nicht-populistischen Profilen verglichen. Das Ergebnis ist eindeutig: Von 2015 bis 2017 haben populistische Bewegungen und Parteien wie die AfD, 5-Sterne oder auch Jean-Luc Mélenchon das soziale Netzwerk Facebook massiv und mit Erfolg genutzt, um sich einen direkten Kommunikations- und Mobilisierungs-Kanal für die eigenen Anhänger zu schaffen.
Dabei gibt es allerdings auch zwischen den drei untersuchten Ländern Unterschiede. Im Folgenden werden die Entwicklungen in Deutschland, Frankreich und Italien kurz skizziert.
Deutschland
Trotz erhöhter medialer Berichterstattung und einzelner Phänomene wie dem „Schulz-Zug“ oder dem „Lindner-Hype“ spielen soziale Netzwerke in der politischen Kommunikation in der Bundesrepublik noch eine vergleichsweise geringe Rolle. Dennoch ist auch in Deutschland klar abzusehen, dass es vor allem Parteien und Bewegungen mit einer populistischen Botschaft sind, die besonders viel mit ihren Anhängern über das soziale Netzwerk Facebook kommunizieren.
Dabei lassen sich sowohl für den Anstieg der Fan-Zahlen als auch für die Interaktionsraten interessante Vermutungen anstellen. So stieg die Anzahl von Interaktionen mit dem AfD-Profil parallel mit der „Flüchtlingskrise“ im September 2015 stark an – genau wie ihre Fan-Zahlen. Ihren Höhepunkt erreichten die Interaktionen und das Fan-Wachstum zwischen Januar und März 2016. In diesen drei Monaten, zwischen den Ereignissen der „Kölner Silvester-Nacht“ und den Landtagswahlen in drei Ländern im März 2016 hatte die AfD also nicht nur ihren Umfragen-Höhepunkt, sondern auch die höchsten Interaktionsraten mit der eigenen Seite auf Facebook.
Frankreich
Im Gegensatz zu Deutschland war Facebook im französischen Wahlkampf von Beginn an sehr viel präsenter und wurde stärker für Politik-Kommunikation benutzt. Die rechtspopulistische Kandidatin des Front National, Marine Le Pen sowie der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon waren dabei am erfolgreichsten. Ihre Profile hatten schon lange bevor der klassische Wahlkampf Anfang 2017 begann hohe Follower-Zahlen und Interaktionen auf Facebook.
Besonders interessant war in dieser Hinsicht die Wahlkampfstrategie von Jean-Luc Mélenchon: Der Kandidat der von ihm selbst gegründeten „France Insoumise“-Bewegung (Das “unbeugsame Frankreich”) hatte bereits Anfang 2016 damit begonnen, mithilfe seines YouTube-Kanals (welcher inzwischen der beliebteste Politik-Kanal Frankreichs ist), seines Blogs und anderer sozialer Netzwerke eine „Gegenöffentlichkeit“ aufzubauen. Darunter versteht Jean-Luc Mélenchon laut seinem eigenen Blog die Möglichkeit, mithilfe der sozialen Netzwerke seine Botschaften und Narrative direkt an die Wähler zu bringen – eben unter Umgehung der sonst üblichen Vermittler wie Journalisten. Darüber hinaus wurde “La France Insoumise” ähnlich wie die Kampagne von Bernie Sanders in den USA über internet-gestützte Plattformen wie Nation Builder dezentral organisiert.
Sicher haben viele Faktoren zum überraschend starken Abschneiden von Jean-Luc Mélenchon beigetragen – nicht zuletzt die Schwäche der sozialistischen Partei (PS). Dennoch ist es auffällig, wie erfolgreich der Sozialist gerade bei der ganz jungen, Internet-affinen Generation war. Bei den 18-24-jährigen stimmten 31 Prozent im ersten Wahlgang für ihn. 20 Prozent dieser Alterskohorte stimmten übrigens für die Rechtspopulistin Marine Le Pen, die ebenfalls stark auf Facebook zurückgreift, Emmanuel Macron kam hier nur auf den dritten Platz.
Italien
Die italienische 5-Sterne-Bewegung ist in gewisser Weise eine prototypische Internet-Partei.
Ihr Kopf und bekanntester Vertreter, der Komiker Beppe Grillo, ist vor allem über seinen Internet-Blog beppegrillo.it bekannt geworden, der zeitweise unter den zehn beliebtesten Politik-Blogs weltweit war. Hohe Beliebtheit erreichte der Blog vor allem damit, dass er die großen Probleme der italienischen Gesellschaft mit Korruption und Misswirtschaft anprangerte. Als Beppe Grillo dann zusammen mit dem Internetunternehmer Gianroberto Casaleggio die 5-Sterne-Bewegung gründete, hatte er also schon eine große Beliebtheit im Internet, vor allem auch bei jungen Leuten erreicht. Dazu kommt, dass die 5-Sterne-Bewegung ähnlich wie in Deutschland die Piraten-Partei ein ganz neues Politik- und Organisationverständnis verkörpert. Interne Abstimmungen der Bewegungen werden basisdemokratisch über das Internet organisiert. Dieses Modell der Entscheidungsfindung sieht die Bewegung auch als Vorbild für eine zukünftige Internet-Demokratie an, an der die Bürger online beteiligt werden können.
Angesichts dieser Affinität zum Internet ist es nicht verwunderlich, dass auch die Kommunikation der 5-Sterne-Bewegung sehr stark über soziale Netzwerke organisiert ist. Beppe Grillo und anderen Führungsfiguren der Bewegung folgen bis zu zwei Millionen Menschen auf Facebook. Und die Interaktionen sind hoch: Eine Analyse der Facebook-Daten mithilfe von Quintly ergab, dass die Fünf-Sterne-Bewegung es besonders vor dem italienischen Verfassungs-Referendum im Dezember 2016 einen erheblichen Anstieg an Interaktionsraten hatten, ihre Inhalte wurden im Durchschnitt sehr viel öfter geteilt als der Content anderer italienischer Parteien. Dazu kommt, dass die 5-Sterne-Bewegung über ein digitales Unterstützungsnetzwerk aus Blog und Online-Zeitungen verfügt, die ebenfalls eine sehr hohe Reichweite haben. Laut einer Recherche des amerikanischen Online-Magazins Buzzfeed verbreiten viele dieser Zeitungen allerdings auch in erheblichem Maße “Fake News”, unter anderem wüste Verschwörungstheorien über Impfungen oder die Rolle des amerikanischen Geheimdienstes in Syrien.
Die Fallbeispiele aus den ausgewählten Ländern zeigen: Populistische Bewegungen sind in vielen europäischen Ländern äußerst erfolgreich darin, Aufmerksamkeit und Reichweiten auf Facebook (und anderen sozialen Netzwerken wie YouTube oder auf Blogs) zu generieren. Ungefiltert und direkt agieren sie so sehr geschickt in der Öffentlichkeit, die es ihnen ermöglicht, ihre zahlreichen Anhänger online zu mobilisieren.
3. Populismus ist eine Kommunikationsstrategie
Neben der neuen Öffentlichkeit, die das Internet geschaffen hat und den Möglichkeiten der Populisten ihre Anhänger dort zu mobilisieren gibt es noch einen dritten Grund dafür, dass Populisten ausgerechnet im Internet so stark werden konnten. Dieser dritte Grund liegt im Wesen des Populismus und der Funktionsweise der sozialen Netzwerke selbst begründet. Die Botschaften, Narrative (also Erzählungen und Deutungsmuster über Politik und Gesellschaft) und Strategien, die Populisten benutzen, scheinen wie dafür gemacht, über das Internet verbreitet zu werden.
Die genaue Bedeutung des Begriffs Populismus ist in der Forschung umstritten. Während einige Wissenschaftler das ideologische Koordinatensystem des Populismus in den Vordergrund stellen (Volk vs. Elite, Bewegung vs. Partei etc…), wollen andere dem Phänomen Populismus nicht zugestehen, dass es sich dabei um eine stringente und umfassende Ideologie handelt und begreifen das Phänomen stattdessen als eine Kommunikationsstrategie, die dazu dient, Macht in einem Staat zu erlangen.
Das Fehlen einer klassischen politischen Ideologie hat zum Beispiel der Politikwissenschaftler Cas Mudde auf den Punkt gebracht, der Populismus als eine im Kern „dünne Ideologie“ beschreibt, die das Volk als homogene Gruppe konstruiert. Dabei wird das “Volk” von rechten Populisten in der Regel unter ethnischen Gesichtspunkten gedacht und definiert und auf der Linken unter sozio-ökonomischen. Die entsprechenden Feindbilder und Wir-gegen-Die-Schemata sind dann „Volks-Deutsche“ gegen Ausländer auf der rechten oder die 99- gegen das eine Prozent auf der linken Seite des populistischen Spektrums.
Wenn man Populismus als Kommunikationsstrategie interpretiert, erscheint die Kommunikation über soziale Netzwerke in neuem Licht: Scheinbare Authentizität, der Appell an den „common sense“ und das Klartext-Reden sind die Zutaten, die erst in der Aufmerksamkeitsökonomie der sozialen Netzwerke ihre große kommunikative Wirkung entfalten. Denn nichts generiert im Internet mehr Klicks und Views als der Appell an Emotionen, besonders negative, und das Vortäuschen von scheinbarer Nähe und unverfälschter Aussagen.
Die direkte Kommunikation und scharfmacherische Rhetorik, die über die sozialen Netzwerke möglich ist, gibt dem populistischen Anspruch, als ehrlicher Makler außerhalb des korrupten politik-medialen Establishments zu stehen, scheinbar Recht. Darüber hinaus greifen erstaunlich viele populistische Akteure auf Protestbewegungen zurück (z.B. La France Insoumise oder Momentum in England) oder sind sogar aus ihnen entstanden (wie Podemos aus „Los Indignados“). Allen diesen Protestbewegungen ist gemeinsam, dass sie es geschafft haben, sich und ihren Protest binnen kürzester Zeit über soziale Netzwerke landesweit zu organisieren. Ähnliche Dynamiken gab es auch im Zusammenhang mit dem “Arabischen Frühling”.
Ausblick
Der Aufstieg des Populismus in der westlichen Welt hat viele Gründe, kulturelle, sozio-ökonomische sowie politische. Dennoch stellt sich die Frage, inwiefern nicht auch die Veränderungen der öffentlichen und politischen Kommunikation durch soziale Netzwerke entscheidend zum Siegeszug von populistischen Bewegungen und Parteien beigetragen haben. Während sich die Protestforschung schon länger eingehend mit der Rolle sozialer Netzwerke für Mobilisierung und Organisation befasst, beginnt die Populismus-Forschung (und die mediale Öffentlichkeit) erst seit der Wahl Donald Trumps damit, sich auf breiter Flur mit dieser Problematik zu beschäftigen. Es ist daher vor allem nötig, schnell mehr und breiteres Wissen über die genaue Rolle und kausalen Zusammenhänge zwischen populistischem Erfolg und sozialen Netzwerken zu generieren.
Darüber hinaus müssen nicht-populistische Akteure aus der Zivilgesellschaft und aus den Parteien noch viel mehr an ihrer Kommunikationskompetenz in den sozialen Netzwerken arbeiten. Viele etablierte politische Parteien, die seit Jahrzehnten an die gewohnte Politikvermittlung über die Massenmedien gewohnt sind, haben immer noch nicht das volle Ausmaß der Veränderungen begriffen, das sich infolge einer digital neu zusammengesetzten Öffentlichkeit ergibt. Während sie die sozialen Netzwerke weiterhin als einen Kanal unter vielen sehen, haben die Populisten sehr viel früher erkannt, wie groß das Potential der neuen Medien wirklich ist. Diesen Vorsprung gilt es so schnell wie möglich aufzuholen.
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